Katholische Seelsorgeeinheit Weissacher Tal

Schon in den achtziger Jahren gab es in unserer Kirchengemeinde den Impuls über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen. Wir unterhielten damals eine Partnerschaft mit einer afrikanischen Gemeinde in Kinshasa, Hauptstadt der heutigen Demokratischen Republik Kongo. Als sich die Kontakte zu dieser Gemeinde verliefen, entstand im Kirchengemeinderat der Wunsch, eine neue Partnerschaft mit einer bedürftigen Gemeinde in Lateinamerika einzugehen. Als sich die Entdeckung Lateinamerikas zum 500. Mal jährte, sahen viele die problematische Rolle der Europäer in der neuen Welt. Sie brachten nicht nur den christlichen Glauben und die europäische Kultur mit, sondern sie waren auch Ursache von unsäglichem Leid, das über die Völker des neuen Erdteils kam. Es schien an der Zeit, den Menschen, die man als Teil der weltweiten Kirche und Glaubensgemeinschaft sehen wollte, etwas zurückzugeben. So hielt man Ausschau nach einer Gemeinde, mit der wir in Wertschätzung verbunden sein und die wir finanziell unterstützen konnten.

Dass die Wahl neben vielen anderen Optionen am Schmutzigen Donnerstag 1992 auf die São-Antonio-Gemeinde in Pilão Arcado im armen Nordosten Brasiliens fiel, war Ergebnis eines ein längeren Entscheidungsprozesses und ist vor allem der vehementen Befürwortung von Herrn Albert Schwenger zu verdanken, der schon seit längerer Zeit freundschaftliche Beziehungen zu den beiden Padres Dieter und Wilhelm unterhalten hatte.

Die Bevölkerung der Region besteht zum großen Teil aus Menschen, die durch den Bau eines Staudamm-Großprojektes am Rio São Francisco ihre Heimat und damit ihre Lebensgrundlage (Fischfang und Landwirtschaft) verloren hatten. Ein Teil wurde angesiedelt in der neuen kleinen Stadt Pilão Arcado, ein Teil fristet bis heute in den zerstreuten Siedlungen der ausgedörrten „Brejos” ein kärgliches Dasein. Wir verpflichteten uns jährlich DM 5000 - jetzt Euro 2.600 - zu überweisen.

Ab 1994 gab es jedes Jahr einen „Pilão - Arcado - Tag” mit Gottesdienst, Mittagessen und Berichten. Befanden sich die Padres auf Heimaturlaub, waren sie zu Gast und stellten so einen direkten Kontakt her. Die Erlöse dieses Tages und des Martinsfestes in Allmersbach wie auch andere großzügige Spenden kommen seitdem unserer Partnergemeinde zugute. Bisher konnten wir in den meisten Jahren mehr als den zugesagten Betrag überweisen.

Im Sommer 1995 besuchte Familie Schwenger unsere Partnergemeinde, konnte dadurch das Band festigen und uns an ihren Erlebnissen durch ihre Fotos und Erzählungen teilhaben lassen. Herr Schwenger organisierte auch eine Kleideraktion, durch die über viele Jahre qualitativ gute Kleidung in Containern nach Brasilien geschickt und den Menschen dort gegen einen kleinen Betrag überlassen wurde. Leider wurde die Einfuhr von gebrauchter Kleidung von der Regierung untersagt. Ein weiteres wichtiges Projekt war die Unterstützung für den Bau von Zisternen. In den Trockenzeiten war die Versorgung der Menschen mit sauberem Trinkwasser regelmäßig zusammengebrochen. Die Situation verbesserte sich durch den Bau von Zisternen, in denen das Wasser während der Regenzeiten für die Trockenzeiten gesammelt werden konnte. Inzwischen hat sich diese „einfache” Methode zu einem wirksamen Modell weit über die Region hinaus entwickelt. Durchfallerkrankungen und Kindersterblichkeit nahmen ab. Durch finanzielle Unterstützung von außen und Eigeninitiative der Bewohner verbesserte sich die Lebensqualität in der Region.

Ab 1999 war Pater Wilhelm allein Gemeindeleiter und unser Ansprechpartner. Schon länger entstand im Arbeitskreis für Mission und Entwicklung und im Kirchengemeinderat der Wunsch, den persönlichen Kontakt zur Gemeinde S. Antonio in Pilão Arcado durch einen Besuch zu erneuern und die Menschen dort in ihrem Alltag und ihrem Sonntag zu erleben.

Im Jahr 2004 erhielten wir von Pater Wilhelm eine herzliche Einladung. Eine Gruppe von sechs Personen machte sich im August 2005 auf, um die Menschen vor Ort kennen zu lernen und mit ihnen Gemeinschaft zu erleben. Zu ihnen gehörten die Ehepaare Dolpp, Knüdeler und Lübbe. Die Vorstellungen und Erwartungen der Besucher wurden von der Realität übertroffen. Sie waren beschämt und berührt davon, wie die Menschen dort ihren Glauben in Armut und Unterdrückung leben und wie lebendig und echt sie ihre Gottesdienste feiern. Es wuchs die Überzeugung, dass jeder Cent, den wir geben, sehr gebraucht und gut verwendet wird.

Seit vielen Jahren schon unterhielt die Gemeinde S. Antonio neben anderen Projekten eine Kindertagesstätte mit 250 Kindern aus sozial benachteiligten Familien. Die Kinder im Alter von 2 bis 6 Jahren erhalten drei Mahlzeiten am Tag und lernen Lesen, Rechnen und Schreiben, was in Brasilien die Voraussetzung für den Eintritt in die Grundschule ist. 2006 reichten die Mittel der Gemeinde, die Kindertagesstätte in diesem Ausmaß zu erhalten, nicht mehr aus. Deshalb initiierten wir eine Patenschaftsaktion unter dem Motto: „Mit 10 Euro im Monat sind Sie dabei!” So viel kostete damals monatlich ein Platz für ein Kind. Achtunddreißig Paten wurden gefunden und unterstützen heute noch dieses Projekt mit insgesamt 1765 Euro im Quartal.

Obwohl die kommunale Regierung den kirchlichen Projekten immer misstrauisch gegenüberstand und sie eher behinderte, wurde die Kindertagesstätte 2008 staatlich anerkannt mit der Auflage, eine Grundschule anzuschließen. Der Grundschulbau wurde mit Hilfe aus Deutschland neben der Kindertagesstätte erstellt. Inzwischen sind 450 Kinder - meist aus armen Verhältnissen - in Kindertagesstätte und Schule und erhalten neben Bildung eine gesunde Verpflegung. Pater Wilhelm und die Missionshilfe melden uns immer wieder zurück, dass sie Schule und Kindertagesstätte ohne unsere kontinuierliche Hilfe in dieser Größe nicht unterhalten könnten. Nach all den Jahren ist schon manches von den Auswirkungen der Hilfe zu sehen. Pater Wilhelm berichtet von ehemaligen Schülern, die den Weg aus der Armut in angesehene Berufe gefunden haben.

Die letzten sechs Jahre hat Frau Dr. Wenke aus Oberweissach jeweils einen vierwöchigen Arbeitseinsatz in der Krankenstation der Gemeinde geleistet. Während wir in Weissach im Tal das 50-jährige Kirchweihfest feierten, war sie in Pilão Arcado in der von einheimischen Mitarbeitern getragenen Gesundheitsstation um die Menschen als Ärztin zu unterstützen. Diese warten immer schon auf sie, denn sie halten sehr viel von der "doutora" aus "Alemanha" und sind sehr dankbar für ihre kompetente und fürsorgliche Behandlung.

Die Zusammenarbeit mit der Gemeinde von Pilão Arcado erleben wir in Weissach als eine Bereicherung. Zwar fließt materielle Unterstützung von uns nach Brasilien und bietet dort Hilfe zur Selbsthilfe, aber wir bekommen alles, was wir ihnen geben, in einer anderen Form wieder zurück. Wir staunen darüber, wie es vielen Menschen von Pilão Arcado gelingt, aus Not und Verzweiflung wieder zu Zuversicht und Lebensfreude zurückzukehren. So lernen wir von ihnen, dass Leben mehr ist als materieller Besitz und Konsum und lassen uns anstecken von ihrer Fröhlichkeit.

 

Ilse Lübbe
Arbeitskreis Mission und Entwicklung
Mai 2016